Mythos? Wenn man sich die Frage stellt, wie es ausgesehen haben könnte, wenn die Germanen zu den Waffen gegriffen haben, stößt man in der Schwertkampfszene auf folgenden Irrglauben: a) Die Quellenarmut läßt nicht eine einzige aussagekräftige Aussage zu. b) Man kann nur zu einem authentischen Ergebnis gelangen, wenn man sich gegenseitig umbringt, denn alles andere wäre unrealistisch. Dieser Irrglaube entsteht durch die Dominanz der historischen Fechter in der Schwertkampfszene, denn nach deren Meinung ist alles, was nicht schwarz auf weiß in den alten Fechtbüchern geschrieben steht auch nicht beweisbar. Das früheste Fechtbuch ist das Towerfechtbuch es wurde auf das Jahr 1300 n.Chr. datiert. Ohne den Geschichtsfans auf den Schlips treten zu wollen, aber wir müssen an dieser Stelle leider sagen, daß die Abbildung wirklich scheiße gezeichnet sind. Wir stoßen bei den Fechtbüchern also auf schlechtgezeichnete Momentaufnahmen mit knappen Bildbeschreibungen. Und weil das Towerfechtbuch erst 1300 entstanden ist, werden die vorhergegangenen Jahrtausende der Schwertkampfgeschichte einfach ignoriert.
Was hat es aber mit der angeblich schwierigen Rekonstruktionsarbeit von Schwertkampftechniken auf sich, und warum gilt gerade dieses Thema als ein schier unlösbarer Mythos? Die Antwort ist gleichermaßen ernüchternd, wie einfach. Man möchte einfach nicht, daß ein Schwert zu einer gewöhnlichen und einfach zu handhabenden Waffe degradiert wird, weil Schwerter nunmal Kindheitsträume erfüllen und Filmgeschichte geschrieben haben.
Was als nächstes kommt wird viele empören: Ein Schwert ist auch nur deshalb so beliebt, da es sich einfach handhaben läßt. Der Gebrauch dieser Waffe ist jedem zugänglich und die Einsatzmöglichkeiten sind beschaulich. Mit anderen Worten: Jeder Depp kann sich ein Schwert nehmen und in kürzester Zeit den Umgang damit erlernen.
Seit über 6.000 Jahren werden Schwerter hergestellt mit denen man in einem Kampf genau drei Dinge tun kann. Stechen, hauen und eventuell schneiden. Das ist die Basis für das ganze Schwertkampfproblem. Wer sich hier vor einem unlösbaren Rekonstruktionsproblem sieht, sollte sich mal mit einem Quantenmechaniker unterhalten, sofern der sich nicht vorher totlacht.Fangen wir mit der Rekonstruktionsarbeit ganz elementar an. Wieviele Möglichkeiten gibt es ein Schwert zu halten? Genau, ganze zwei. Der gewöhnliche Schwertgriff sieht eine Handhabung mit der Spitze nach oben oder nach unten vor. Auch wenn Hollywood etwas anderes zeigt, die Variante mit der Spitze nach unten können wir guten Gewissens verwerfen. Bei einem solch einfachen Gegenstand kann man davon ausgehen, daß die Bandbreite der Anwendung in einem Kampf überschaubar ist, auch wenn die Japaner aus dem Schwertkampf eine abstrakte Wissenschaft machen wollten, indem sie alles künstlich aufgeblasen und abstrahiert haben, bis jede Daumenbewegung eine eigene Bezeichnung und ein eigenes Lehrbuch bekommen hat. Vergleichen wir doch mal das relativ primitive Schwert mit einer komplexen Waffe, wie einem Sturmgewehr, ein Gasdrucklader im Kaliber 7,62. Und selbst hier bleibt alles einfach und simpel. Auf wieviele verschiedene Arten können wir diese Waffe zum Einsatz bringen? Dem gewöhnlichen Infanteristen bleibt nur, die Waffe aus der jeweiligen Schützenposition heraus auf den Feind auszurichten und dann abzudrücken. Es ist vollkommen unnötig jede einzelne Schußposition mitsamt aller Variablen aufzulisten, diese zu benennen und daraus Katas zu machen. Wenn man es ganz kompliziert betrachtet, bleibt dem Schützen noch die Wahl zwischen Einzelschuß, einer Dreiersalve oder Dauerfeuer, je nachdem, was er per Hebelwahl einstellt. Der Longrangeschütze trifft auf viele hundert Meter (der momentane Rekord eines bestätigten Abschusses liegt bei 2.400m), ein Trickshooter, wie Bob Munden, zieht aus der Hüfte, feuert mit seiner Single-Action-Only vier mal innerhalb von nur einer Sekunde und trifft vier unterschiedliche Ziele. Aber das sind die wenigen Ausnahmen. Ein Standardinfanterist kann genau wie der durchschnittliche Schwertkämpfer nicht auf herausragende Fähigkeiten zurückgreifen, und selbst die japanischen Schwertheiligen haben selten mehr als vier Duelle überlebt. Ein Schwert ist und bleibt also nur eine gewöhnliche Waffe, ganz ohne Wunderwirkung und geheime Supertechniken, die man der Klinge so gerne entlocken möchte. Wer nun mit dem Beispiel kommt, daß ein geübter Schwertkämpfer zehn Mann aufwog, dem sein gesagt, daß jeder, der hart trainiert und jahrelang übt, ungeübten Gegnern immer weit überlegen ist. Das gilt für den Schwertkampf, aber auch fürs Reiten, Laufen, den Speerweitwurf und auch für geselliges Komasaufen.
Die Rekonstruktion von Schwertkampftechniken gestaltet sich also recht unproblematisch, da das Testobjekt nicht sehr komplex ist. So wie man einen ausgegrabenen Bodenfund, wie einen Schuh, eine Pfanne oder ein Messer einem Zweck und den damit verbundenen Tätigkeiten, sowie improvisierten Handlungen zuordnen kann, ist dies auch mit einem Schwert möglich. Also: hauen, stechen und schneiden, wobei man auch mal vorne anfassen kann, um den Griff als Keule oder die Parierstange als Hacke zu verwenden (Mordschlag). Es ist ebenfalls möglich das Schwert wie einen gewöhnlichen Stock zu benutzen (Harnischfechten oder Harnischringen) oder mit dem Knauf auf irgendetwas einzuschlagen. Was so gnadenlos banal und unkompliziert klingt, wird in der Welt des historischen Fechtens als Beispiel meisterhafter Schwertkampfkünste verstanden (siehe Fechtmeister Czynner). Da es sich beim Schwert um einen fast magischen Gegenstand handelt, will man häufig nicht akzeptieren, daß man der Geschichte relativ mühelos die Geheimnisse entreißen kann, wenn man einigen Dingen auch mal einen banalen Zweck zugesteht. Es kommt allerdings auch vor, daß nicht immer alles praktisch verwertbar oder gar logisch sein muß. Wenn Archäologen einer Alienrasse in ferner Zukunft auf unserem Planeten landen und bei ihren Ausgrabungen hochhackige Schuhe, den überdimensionierten Heckspoiler einer 75PS starken Tuningbude oder einen Golfplatz samt Löcher findet, werden sich zwangsweise seltsame Fragestellungen ergeben. Wir sollten also nicht den Fehler begehen und alles der Logik oder einem Sinn unterwerfen zu wollen. Wie gesagt, ein Schwert ist ein Schwert, und nicht umsonst ähneln sich die Schwertkampftechniken verschiedener Kulturen so sehr, daß auch für den ungeübten Beobachter und Laien Parallelen leicht zu erkennen sind.
Teil 1 - Rekonstruktionsfehler
Das waren einige theoretische Ansätze. Bevor wir aber zu den Ergebnissen kommen, wollen wir kurz erläutern, warum alle anderen Rekonstrukteure bisher versagt haben. Schauen wir uns einen typischen Wikingermarkt an, finden wir vorwiegend kleine, kerbenlose Rundschilde und Schwerter. Die Primärwaffen der Wikinger waren jedoch höchstwahrscheinlich große Rundschilde (bis 112cm, bei nicht wesentlich kleinerer Körpergröße als heutige Menschen), Messer, Speere und natürlich Äxte. Der Gebrauch der Miniaturrundschilde und Superleichtschwerter in der modernen Wikingerszene haben eine einfache Bewandtnis. Es ist ohne viel Training und bei schlechter konditioneller Verfassung jedem möglich diese Ausrüstungsgegenstände zu benutzen. Schwerter mit extremer Hohlkehlung und einem Gewicht von manchmal nur 800 Gramm (siehe Schwerter des Herstellers Paul Chen) sind mühelos zu führen, und es ist auch kein eisenharter Bizeps nötig, um einen Rundschild mit maximal 70cm Durchmesser über längere Zeit zu halten. Die Wikinger bevorzugten aber schwere Waffen und haben im Laufe der Zeit ihre Arbeitsäxte zu wuchtigen Bartäxten weiterentwickelt, um den wachsenden Anforderungen auf dem Schlachtfeld gerecht zu werden. Der vermehrte Einsatz von Wuchtwaffen ist ein typisches Indiz für das bekannte Wettrüsten zwischen Panzerung und Waffenwirkung. Wann immer eine Schutzvorrichtung verbessert wurde, gab es auch bald darauf die passende Antwort. In der modernen Kriegsführung sind wir bei Keramikschicht-, Verbundpanzerungen und Mehrfachhohlladungen angelangt, und eine Stagnation bei der Entwicklung von Waffentechnologien dieser Art ist nicht abzusehen. Erst als Schußwaffen mit Treibladungen das Schlachtfeld dominierten, wurde der mittelalterliche Körperpanzer nutzlos, dies geschah jedoch erst viele Jahrhunderte nach dem Wikingersturm, zu der Zeit, als die gotische Rüstung den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht hatte. Alle Waffenfunde, Indizien und Quellen über Kampfhandlungen deuten darauf hin, daß die Wikinger Waffen mit erhöhter Durchschlagskraft und Wucht bevorzugt haben.
Die selbsternannten Profis, die sich als Könner im Umgang mit Schild und Schwert proklamieren, haben jedoch ein kleines Problem mit dem sie jüngst konfrontiert werden. Die Theorien über ihre eigenen, völlig abstrusen Vorstellungen des Rundschildkampfes können nicht im Ansatz belegt werden, denn historische Fechter, Wikingerreenactor oder Huscarlfechter sind noch nie dabei beobachtet worden, wie sie Äxte mit voller Wucht und ungebremster Geschwindigkeit gegen einen Gegner eingesetzt haben, der sich zudem noch mit unabgesprochenen Aktionen erwehrt hat. Ein solch realistisches Szenario ist nämlich das genaue Gegenteil von dem, was man in Fechtstunden, auf Seminaren und in den Workshops erleben kann.
Üblicherweise versucht man bei Experimenten möglichst realistische Parameter zu wählen. Probanten, die körperlich nicht fähig sind 30 Minuten lang zu rudern und danach ein Rundschild in den Kampf zu tragen, kommen demnach für die Rekonstruktion des frühmittelalterlichen Rundschildkampfes schlichtweg nicht in Frage. Eine schußsichere Weste wird zu Testzwecken ja auch mit echter Munition beschossen und nicht mit Smarties beworfen. Und den Umgang mit Rundschilden rekonstruiert man nun mal mit scharfen Äxten, in voller Kampfgeschwindigkeit und mit beweglichen Zielen, also Mann gegen Mann. Als diese Schädlinge sich dem Kriegshandwerk der Germanen widmeten, ließen sie den gesamten Inhalt aller Fechtbücher und moderner Kampftechniken in ihre Rekonstruktion einfließen, eben weil sie historische Fechter waren und unbedingt einen Bezug zwischen den alten „Fechtmeistern“ und dem Umgang mit Rundschilden erzwingen wollten. Wenn ein gelernter Handwerker in seiner Freizeit eine historische Mongolenjurte nachbaut, verwendet er doch auch keine Spaxschrauben und Kabelbinder, nur weil er es aus dem Berufsleben gewohnt ist.
Um den Kampfstil der Wikinger rekonstruieren zu können, braucht man also historisch gefertigte Rundschilde in voller Größe, scharfe Äxte nach geschichtlichen Vorbildern und einige schmerzbefreite Probanten, die willens sind im Namen der Wissenschaft ihr Blut zu vergießen (oder wenigstens ein wenig davon). Feldforschung benötigt nun mal unerschrockene Pioniere.
Teil 2 – Wie haben die Wikinger gekämpft
Es war nicht allzu schwierig die Axt- oder das Schwerttechniken zu ergründen, denn mit einer „Hobbittür“ in der anderen Hand waren die Angriffsmöglichkeiten relativ limitiert.
Befindet man sich unmittelbar im Waffenradius des Gegners, geht man in eine Abwehrposition, die akademische Fechter als „leicht verhangene Auslage“ kennen. Dabei hebt sich die Waffenhand bildet mit der Schwertklinge oder dem Axtstil eine Art Dach, die von schräg hinten, über den Kopf hinweg, diagonal auf die Schildoberkante führt, wo sie dann aufliegt. Somit hätten wir eine Grundstellung, die Beintreffer erschwert, seitliche Angriffe durch das Schild gedeckt sind und Hiebe von oben ohne Zutun des Kämpfers automatisch pariert werden. Durch die Unterstützung des Schildrandes können auch wuchtige Axthiebe mühelos abgewehrt werden, wobei seitlich hereinkommende Schläge durch das aufliegende Schwert keine Lücke finden. Der Sichtkontakt zum Gegner mußte in allen Situationen aufrechgehalten und durfte nur für die kurze Dauer einzelner Aktionen unterbrochen werden. Diese Grundstellung ergab sich instinktiv und war nicht theoretisch konstruiert. Eingehende Stiche und Hiebe konnten mit knappen Schildbewegungen vereitelt werden. Befand man sich außerhalb der Waffenreichweite, gab man die Grundstellung kurz auf und entspannte seine Muskeln. Während des Kampfes weicht man mit zügigen Schritten bogenförmig nach hinten aus, wodurch der Gegner zum zügigen nachsetzten gezwungen wird, wenn er auf Kampfdistanz bleiben will. Das oberste Ziel lag darin, nicht getroffen zu werden und unbeschadet aus dem Kampf hervorzugehen. Der relativ leichte Körperschutz wurde durch den Rundschild kompensiert, nur trug man den effektivsten Teil der Panzerung nicht am Leibe, sondern führte sie mit der Schildhand. Da die gegnerische Deckung höchst selten mit nur einem Streich zu durchbrechen ist, muß man Angriffsserien planen, um die Deckung aufzustemmen oder zu umgehen. Wenn sich während einer Angriffskombination Lücken auftun, schlagen sofort Schildkantenschläge, Hiebe oder Stiche mit der Primärwaffe in die Bresche, wobei die eigene Defensive niemals vernachlässigt wird. Ein Kampf zweier, geschulter Kombattanten, die Rundschilde führen, kann man als Multitaskingschlacht bezeichnen. Um so kämpfen zu können bedarf es jedoch unzählige Stunden der Übung. Der Rundschild ist eine Waffe, der man sich intensiv widmen muß. Es nützt einem wenig sich mit Zirkel- oder Lauftraining auf den Rundschild vorbereiten zu wollen. Um dieses Gerät zu meistern, hilft nur die ständige Praxis im Vollkontaktmodus und vielleicht gelegentliche Besuche in einem Mosh Pit. Die Schildfessel verhindert das Festnageln des Unterarmes bei Pfeilbeschuß und befähigt einem zu einer verhaßten Angriffsoption: dem Schildkantenschlag. Es können kurze Geraden, sowie ausholende Schwinger ausgeteilt werden, die durch die starre Schildfessel (Griff) die Geschwindigkeit eines Faustschlages mit der Masse des Schildes vereinen. Wenn eine 5-6 kg schwere Schildkante durch die Deckung schlüpft und mit voller Wucht in den eigenen Helm kracht, ist man nicht selten einem technischen K.O. nahe, und genau in diesem Moment ist die gegnerische Waffe, ein Tritt oder ein zweiter Schildschlag auf dem Weg, um einen von den Beinen zu holen. Verringert sich die Kampfdistanz auf ein Minimum, kann sofort in den Bodenkampf gewechselt werden, bei dem Sekundärwaffen zum Einsatz kommen, und auf weite Distanzen wird nicht selten mit allem geworfen, was man gerade zur Hand hat. Und während der Dauer des Kampfes gilt es nicht nur zu überleben und Treffer zu verhindern, sondern man muß höllisch gut mit seinen Kräften haushalten. Die Schutzausrüstung hält ab, was sie abhalten kann, und eine Verwundung bedeutet nicht immer das Ende des Kampfes. Man kämpft solange wie man stehen kann oder zieht sich zurück, um in der nächsten Plündersaison zurückzukehren. Dabei ist die Kondition mit der bedeutendste Faktor, denn wenn die Konzentration und Kraftreserven schwinden, bedeutet dies den sicheren Tod. Sollte dieser Fall eintreten oder der Schild brechen, bleibt einem nur der heroische Moment oder die Flucht, denn um etwas von der Beute zu haben, muß man fähig sein sie ausgeben zu können.
Die etablierten Schwertkampfschulen benutzen niemals Äxte, die schnell und wuchtig geführt werden. Sie üben ausschließlich mit extrem leichten Klingen und meist sehr kleinen Schilden. Schildkantenschläge, Stiche, Kopfnüsse, Tritte und der Bodenkampf gehören ebenfalls zum Tabu, wobei sich die Frage stellt, was vom Kriegshandwerk noch übrig bleibt, wenn man 90% der damals üblichen Praktiken verbietet. Daher ist ihnen vieles fremd, und sie tun sich sichtlich schwer aus dem gewohnten Tippitappikampfsystem auszubrechen.
Man mag zweifeln, aber wir verlangen von jedem Kritiker, daß er seine Theorien in einem Kampf ohne Regeln unter Beweis stellt und nicht, wie hierzulande üblich, in einem Forenthread diskutiert und dabei möglichst oft Tsun Tzu zitiert.