Was sind unsere Götter überhaupt ?
Wer sich mit heidnischen Göttern beschäftigt, muß sich von Vorstellungen des Christentums lehrt, gründlich befreien. Eine Gottheit Heidentum ist kein abstraktes, jenseitiges, ewiges, allmächtiges Wesen, das über der Welt schwebt und sie von außen regiert, kein „reiner Geist" und keine moralische Instanz, die ausschließlich das sogenannte Gute verkörpert!
Gottheiten zeigen sich uns in der Erfahrung der Natur, in der Begegnung im Kult, in den Mythen, die ihre Persönlichkeit durch ihre Taten enthüllen, und auf manche andere Weise, z.B. Visionen und Träumen. Man kann sie als wirklich und gegenwärtig erleben, doch mit dem Verstand nur begrenzt begreifen. Daher zeigen sie sich uns in Gestalten, die unserem Wahrnehmungsvermögen entsprechen.
Die Götter, die uns die Mythen „menschengestaltig" beschreiben, sind keine Menschen, aber sie teilen mit uns ganz wesentliche Eigenschaften: Sie besitzen Persönlichkeit, Gefühle und Urteilsvermögen, und man kann mit ihnen kommunizieren.
Die Natur ist vielfältig und besteht aus verschiedenen Wesen und Dingen, daher sind auch die Götter, die in ihr sind, verschieden und vielfältig.
Göttliche Einheit und Vielfalt
Die Götter und Göttinnen sind also stets eine Vielheit, doch bilden sie trotzdem eine Einheit – nicht als „das Eine" abstrakter Philosophien, sondern ganz konkret vereint durch die Sippenbande, mit denen die Mythen die Verwandtschaften ihres Wesens ausdrücken, und durch das gemeinsame Handeln. Die Edda nennt sie „die Beratenden", regin, ein Wort, das auch althochdeutsch (regano) überliefert ist und auf eine alte, gemeinsame Überzeugung hinweist. So sehr auch jede Gottheit ihren eigenen Bereich haben mag, z.B. Wodan/Odin die geistigen Kräfte, Donar/Thor die physischen und den Mut, Freyr und Freyja die Sexualität usw., so ist dennoch gewiss, dass sie gemeinsam die Welt lenken und dies genauso tun, wie es – nach ihrem Beispiel geformte – germanische Tradition ist: durch freie, gleichberechtigte Beratung im Thing.
Die Versammlung der Götter, das Thing, eine göttliche Demokratie ist die Einheit, die über allem steht – kein einzelner Herrscher, der alles in Händen hält, und auch kein einziges abstraktes Grundprinzip oder „Absolutes". Die Einheit der Götter ist das Zusammenspiel ihrer Vielheit in Freiheit, Gemeinsamkeit und gleichem Recht.
Asen und Vanen
Die Asen - Odin und seine Familie
Die Götter, die wir im germanischen Heidentum verehren, gehören zwei verschieden Stämmen an. Der eine, die Vanen, ist zwar sehr bedeutend und lebt und wirkt in sehr wichtigen Bereichen überall in der Natur, die Überlieferung berichtet aber nur über wenige große Vanengottheiten. Der andere Stamm, dem die meisten Götter angehören, die von uns verehrt und in den Edda-Mythen beschrieben werden, sind die Asen die Familie Odins. Ihr Name, der durch den Runennamen Ansuz und mit Ans- gebildete Personennamen auch bei den kontinentalen Germanen bezeugt ist, wird auch allgemein für „Götter" verwendet.
Odins engste Verwandte, die aus seinem Wesen als Gott der geistigen Kräfte geboren sind, sind alle Asen, auch wenn ihre speziellen Bereiche in anderen Gebieten liegen, geistbestimmte Gottheiten, die mehr den Elementen der Luft und des Feuers verbunden sind als denen von Erde und Wasser. Sie zeigen sich vor allem in Naturbereichen wie Wind, Donner, Himmel oder Licht und in psychisch-sozialen Bereich in Fähigkeiten und Funktionen wie Wissen und Magie, Schutz, Recht, Konflikt und Versöhnung sowie Schicksal, Tod und Wiedergeburt. Diese Bereiche sind nicht „übernatürlich", sondern gehören zum ungeteilten Sein der Wirklichkeit. Die Asen sind deshalb genauso in der Natur wie die Vanen und zeigen sich auch im physisch-biologischen Bereich, z.B. Wachstum und Fruchtbarkeit, und natürlich auch in Tieren, Bäumen und Kraftorten.
Die Vanen - Gottheiten der Erde
Die Vanen (nordisch Vanir, ), bildet den erdverbundenen Gegenpol der himmlischen Asen.
Die Vanen sind freundliche, hilfreiche und lebensspendende Gottheiten, die mit der Erde und dem Wasser verbunden sind. Sie leben in den Wachstumskräften der Natur, geben den Feldern Frucht, sichern die Nachkommenschaft und sorgen für Frieden, Verständigung und Liebe, Freundschaft und sexuelle Beziehungen unter den Menschen.
Die Vanen sind Zwillingsgottheiten, die als Paare von Göttin und Gott erscheinen, die denselben Namen (z. B. Freyja/Freyr) tragen und vom selben Wesen sind, aber eben in den unterschiedlichen Polen von Männlich und Weiblich.
Der Krieg zwischen Asen und Vanen
Die Edda-Mythen berichten von einem Krieg zwischen Asen und Vanen, der am Anfang der Zeiten ausgefochten wurde, unentschieden blieb und mit einem Friedensschluss endete, durch den die heutige Gemeinsamkeit der beiden Götterfamilien begründet wurde.
Als Kriegsgrund erzählt die Edda, dass von den Vanen eine Frau mit Namen Gullveig die Asen besuchte und mit ihren Zauberkünsten in Konflikt mit ihnen geriet. Sie erstachen sie mit Speeren und verbrannten sie dreimal, doch dreimal wurde Gullveig wiedergeboren und heißt seither Heiðr (Strahlende). Ihre Sippe konnte den Angriff natürlich nicht ungesühnt lassen. Die Vanen zogen gegen Asgard, und es begann ein langer Krieg, den keine der beiden Seiten für sich entscheiden konnte.
Schließlich waren sie bereit, Frieden zu schließen. Asen und Vanen kamen an einem heiligen Ort zusammen und hielten das erste Thing ab. Sie schworen einander Eide, künftig Frieden zu halten, und tauschten Geiseln aus. Dann ließen sie eine Schale reihum gehen, in die alle spuckten – denn der Speichel als „Material” der Sprache symbolisierte, was jeder von ihnen gesprochen hatte – und so bekräftigten sie nochmals durch ein Zeichen die Gültigkeit ihrer Abmachungen.
Das ist entweder ein sehr altertümlicher Brauch, denn aus ihrem gemeinsamen Speichel schufen die Göttersippen viel mehr als nur ein Zeichen ihrer Versöhnung. Er enthielt überhaupt alles, was Asen und Vanen sprechen konnten: ihr gesamtes Wissen und ihre gemeinsame Weisheit, sodass aus ihm ein Mann entstand, der Kvasir hieß und der weiseste aller Menschen war. Das ist der Anfang des Mythos von Óðrörir, dem heiligen Met der Weisheit und Dichtung.
Als Geiseln sandten die Asen Hönir und Mimir zu den Vanen, die sich dadurch aber bald betrogen fühlten: Hönir war nicht so klug, wie sie dachten, sondern verdankte alle guten Ratschläge, die er gab, Mimir. Da schlugen sie Mimir den Kopf ab und sandten ihn Odin, der ihn am Leben erhielt und sich seither mit ihm berät. Die Asen gingen mit den Geiseln der Vanen freundlich um: Zu ihnen kamen Njörðr und seine Kinder Freyr und Freyja, und sie leben bei ihnen wie Leute der eigenen Familie.